Hundertfüßer und der Mensch #

Stichunfälle #

Obschon Hundertfüßer eigentilch sehr versteckt in Naturgebieten wie Wäldern oder Höhlen leben, gibt es immer wieder Überschneidungspunkte mit Menschen. Manchen Arten wie Parotostigmus rex oder Scolopendra gracillima sagt man gar regelrechte Naturfolgung nach. Und auch Scolopendra cingulata ist durchaus schon mal ungebetener Gast in Haus und Grundstück. So sind Stichunfälle gar nicht so selten, alleine in der Türkei werden wohl an die 5000 Stiche jährlich im Krankenhaus behandelt. Da Hundertfüßer dort jedoch als nicht sonderlich gefährlich angesehen werden, soll die Dunkelziffer unbehandelter Stiche deutlich höher liegen.¹. Auch in anderen Gebieten wie Sao Paolo² oder Hong Kong³ werden Behandlungen von Stichen in dreistelliger Zahl genannt, allerdings für einen deutlich größeren Zeitraum von ca. 10 Jahren.

Selbst in Deutschland scheint man nicht ganz sicher, 2017 wurde ein Biss durch Scolopendra morsitans beschrieben, der als blinder Passagier aus dem Urlaub mitgebracht wurde, und einen Nachbarn verletzt hat.⁴

Mehr über das Gift von Skolopendern

Betrachtung in Medizin und Forschung #

Traditionelle Medizin #

In traditioneller Medizin werden Hundertfüßer seit Jahrhunderten verwendet. So finden sich Nachweise über die Nutzung in alter Heilkunst aus China, Indien, Vietnam, Südkorea und Japan⁵. Wo viele Einsatzzwecke vielleicht durchaus fragwürdig sind, scheinen neue Studien hingegen zu belegen, dass der Einsatz des Giftes von Scolopendra mutilans durchaus begründet gegen Arthritis eingesetzt werden kann.⁵

Auch sprechen neuere toxologische Erkenntnisse für eine Wirkung der Gifte gegen Herzprobleme und für eine Schmerztherapie.

Moderne Medizin und Forschung #

Auch wenn Hundertfüßergift heute noch weitestgehend unerforscht ist, brachten jüngste Entwicklungen in der Wissenschaft neues Interesse an den Bestandteilen der Toxine.⁵⁶ So sind aktuell Antimikrobielle und insektizidische Komponenten aus dem Gift von Scolopendra mutilans aktuell interessant für Medizin und biologische Insektizide⁵. Auch soll das Protein ShSPI von Scolopendra hainanum für Medikamente von Relevanz sein⁷. Doch insgesamt steht die Forschung hier noch weit am Anfang und ein entsprechender Nutzen ist noch nicht wirklich abzusehen.

Allgemeiner Stand der Forschung #

“centipedes of the family Scolopendridae have attracted little attention from ecologists and little work has been done on their life histories”. (Lewis, 1972)

Scolopendromporha sind ein relativ unerforschtes Gebiet. Dr. Graf Attems hat 1930 als Teil der Zusammenstellung “Das Tierreich” eine (seinerzeit) umfassende Aufstellung über diese Ordnung publiziert, die lange Zeit als Referenz galt. Zwischenzeitlich gab es immer wieder kleinere Betrachtungen, teils auf Lokalitäten oder einzelne Genera beschränkt. Seit den frühen 2000er Jahren kamen wieder einige essenzielle Publikationen hinzu. Gerade Lewis hat 2010 mit “A key and annotated list of the Scolopendra species of the Old World with a reappraisal of Arthrorhabdus” eine gute Übersicht über den Genus Scolopendra erstellt, derweil Schileyko, Vahtera und Edgecombe 2020 “An overview of the extant genera and subgenera of the order Scolopendromorpha (Chilopoda)” veröffentlichten.

Über die Biologie und Verhaltensweisen hat Rosenberg 2009 das umfassende Buch “Die Hundertfüßer, Chilopoda” veröffentlicht.

Einig sind sich die Publikationen aber leider auch in einem Punkt: Es gibt noch viel zu erforschen und aufzuräumen!
Einige Artbeschreibungen basieren lediglich auf einem Tier - und sind entsprechend nicht statistisch repräsentativ. Andere Artbeschreibungen weichen voneinander ab. Manche Arten unterscheiden sich äußerlich nicht oder kaum - aufgrund überschneidender Variabilität. So lassen sich Männchen von Scolopendra canidens und Scolopendra cretica rein morphologisch nicht differenzieren. Oder der türkische Fund von Scolopendra clavipes ist vermeintlich Scolopendra canidens. Und Scolopendra morsitans hat einen sehr ähnlichen endemischen “Doppelgänger” Scolopendra laeta in Australien, mit dem jedoch auch Tiere außerhalb der Insel viele Charakteristika teilen.⁸

Gleichsam zweifelt man im Hobby ob der Vielgestalt von Scolopendra cingulata an einer eindeutigen Art. Und natürlich gibt es noch einige unbeschriebene Arten wie den “Malaysian Jewel” oder den “White Legs”. Dazu wurden erst in jüngster Vergangenheit semiaquatische Arten wie Scolopendra paradoxa (2018) entdeckt. Doch insgesamt erscheinen Hundertfüßer weiterhin relativ uninteressant in der Biologie. Auch wurden molekulare Bestimmungen der Tiere erst in jüngster Vergangenheit überhaupt durchgeführt. Von weiteren Forschungen um Verhalten oder Toxizität ganz zu schweigen. Insgesamt muss hier noch viel wissenschaftliche Arbeit geleistet werden - die allerdings auch bezahlt werden will.

Lebensmittel #

Als Lebensmittel werden in China bestimmte große Hundertfüßer konsumiert, in der Regel aufgespießt und gegrillt oder frittiert. Man sieht sie oft an Straßenverkaufsständen in großen Städten, einschließlich der Märkte Donghuamen und Wangfujing in Peking.⁹

Alte Kulturen #

Japan: Ōmukade #

Ōmukade ist eine faszinierende Kreatur der japanischen Folklore, die oft als riesiger, giftiger Riesenskolopender beschrieben wird. Der Name “Ōmukade” (大百足) selbst bedeutet wörtlich “großer zentaurischer Käfer”. Diese mystische Kreatur hat ihren Platz in zahlreichen Geschichten, in denen sie als mächtiger und gefährlicher Gegner dargestellt wird. Inspiration für diese Sagengestalt war wohl Scolopendra japonica.

In vielen Erzählungen wird Ōmukade als monströses Wesen beschrieben, das eine beeindruckende Größe und tödliche Klauen besitzt. Seine giftigen Bisse und seine schnelle Beweglichkeit machen es zu einem Schrecken für Reisende und Helden gleichermaßen. Ōmukade wird oft als Symbol für Herausforderungen und Prüfungen gesehen, die auf dem Weg zu einem Ziel überwunden werden müssen.

Trotz seiner schaurigen Darstellung in der Folklore hat Ōmukade auch in der Popkultur Einzug gehalten, insbesondere in Filmen, Büchern und Videospielen. In einigen Interpretationen wird diese mythische Kreatur als eine Art Test angesehen, den Helden bestehen müssen, um ihre wahre Stärke zu zeigen oder um eine wichtige Lektion zu lernen.¹⁰

Maya #

Es wurde einmal angenommen, dass er skelettartige Schlangen repräsentiert, aber neueste Forschungen haben gezeigt, dass es tatsächlich Darstellungen von Skolopendern sind.¹¹ Sie haben Verbindungen zur Triade von Palenque, dem Sonnengott K’inich Ajaw und Bolon Yokte K’uh.¹²

Der skelettartige Maul des Hundertfüßers, dargestellt als mit Wasser gefüllte Höhle und kieferloses Maul, ist ein prominentes Symbol in der Maya-Kunst. Es wird oft mit Höhlen in Verbindung gebracht¹¹ und soll Übergänge repräsentieren, insbesondere den Übergang zwischen Nacht und Tag sowie zwischen der Unterwelt und unserer Welt.¹² Sie werden auch mit dem Eingang zur Unterwelt in Verbindung gebracht, da ihr verschlingendes und giftiges Maul als der Eingang zu diesem Reich betrachtet wird.¹² Dieses Motiv findet sich auf verschiedenen Artefakten wie Sarkophagdeckeln und Stelen (Grabsteinen). Darüber hinaus wird angenommen, dass das postklassische Symbol für Cenote, eine mit Wasser gefüllte Höhle, aus diesem Bild entstanden ist.¹¹

Moderne Popkultur #

Film #

Wenn man an Filme mit Bezug zu Hundertfüßern denkt, fällt einem sofort “The Human Centipede” aus dem Jahr 2009 ein. Es gibt jedoch auch andere Filme, die sich explizit auf Hundertfüßer beziehen, wie “Centipede - Sie Fressen Dich (2004)” und “Creepy Crawl (ursprünglich “The 100”, 2023)”.

Hundertfüßer werden auch in anderen Filmen für den Schreck- und Ekelfaktor eingesetzt, wie in “Indiana Jones und das Rad des Schicksals”, “Jumanii (2017)”, “Nightmare (1984)”, “Ring (2002)”, “Die Reise zur geheimnisvollen Insel” und “Naked Lunch”. Aktuell gibt es auf der IMDB etwa 200 Einträge mit dem Schlagwort “Hundertfüßer”.

Im Allgemeinen scheinen Skolopender besonders in Abenteuerfilmen in exotischen Ländern und natürlich in Horrorfilmen beliebt zu sein.

Musik #

Die italienische Progressive Rock Band Gli Alluminogeni hat 1972 ihr Album “Scolopendra” veröffentlicht. Die Tech-Grind Band Cephalic Carnage aus den USA hat auf ihrem 2003er Album “Lucid Interval” den Opener “Scolopendra cingulata”.

Die Mythen um die Gefährlichkeit von Skolopendern und das allgemeine Unwissen über diese Tiere scheinen besonders im extremen Heavy Metal attraktiv zu sein. Es gibt eine Reihe von Bands, die einen Bezug zu Hundertfüßern haben: Scolopendra (FR), Scolopendra (IT), Scolopendra cingulata (KAZ) und Rise Of The Scolopendra (IT).

Aber nicht nur in der Welt der harten Gitarren finden Musiker Gefallen an Hundertfüßern. Der IDM / Elektro Act Skolopender (AUT) ist ein weiteres Beispiel dafür.

Im April 2019 wurde sogar ein britisches Platten-Label mit dem Namen Scolopendra gegründet.

Tattoo #